Denkt du auch manchmal, dass bedürfnisorientierte Erziehung und artgerechte Hundehaltung heutzutage eigentlich nicht möglich ist?
Hunde leben in der Stadt, haben keine Aufgabe mehr, sind überzüchtet und nur noch dazu da, dem Menschen der beste Freund zu sein.
Ich bin überzeugt davon, dass es trotz unterschiedlicher Welten möglich ist, dem besten Freund ein wundervolles und artgerechtes Leben zu ermöglichen.
Artgerecht = die für eine Tierart typischen Bedürfnisse und Ansprüche befriedigen. Synonyme sind „artgemäß“ und „tiergerecht“.
Bedürfnisorientierte Erziehung = in der Erziehung werden natürliche Bedürfnisse erkannt und angemessen erfüllt. Verhalten wird weder als richtig noch falsch, erwünscht oder unerwünscht, kategorisiert, sondern als Ausdruck der Bedürfnisse. Man ist Vorbild (auch in angemessener Bedürfnisbefriedigung).
Die Begriffe sind sich ähnlich, aber nicht identisch. In der Praxis werden bei artgerechter Tierhaltung nicht alle Bedürfnisse permanent befriedigt (was ein Mangel in der Umsetzung ist und kein Fehler in der Definition). Auch werden artgerecht gehaltene Tiere nicht zwangsweise durch den Menschen erzogen (z.B. Hirsche im Wildpark). Bedürfnisorientierte Erziehung hingegen führt zu einer artgerechten Haltung.
Hunde und Menschen sind Säugetiere. Viele ihrer Bedürfnisse unterscheiden sich kaum voneinander: Sicherheit, sozialer Anschluss, persönliches Wachstum, körperliche Unversehrtheit und so weiter. In der Grafik findest du die hündischen Bedürfnisse (und du merkst: sie sind deinen sehr ähnlich):
1. Perspektivwechsel: wie ist es, ein Hund zu sein?
Artgerechte Hundehaltung bedeutet, den Ansprüchen einer anderen Tierart als deiner eigenen gerecht zu werden. Die Beobachtung dieser Tierart und ihrer Bedürfnisse muss unabhängig von menschlichen Wertvorstellungen, Meinungen, oder Moralvorstellungen passieren. Man muss sozusagen die Menschenbrille absetzen und (zeitweise) mental zum Hund werden😊. Dann erfährst du, welche Wünsche und Ziele Hunde haben, wie sie für sich sorgen und was sie am gerne tun.
2. Bedürfnisbefriedigung: gib deinem Hund, was er braucht.
Nur wenn du die Bedürfnisse wirklich kennst, kannst du sie befriedigen. Dafür ist der erste Schritt – der Perspektivwechsel – so wichtig. Hunde sind Kaniden (Familie: Canidae, Ordnung: Carnivora) und Menschen Affen (Familie: Hominidae, Ordnung: Primaten). Die Befriedigung der gleichen Bedürfnisse wird unterschiedlich gehandhabt: Menschen bauen einen Zaun um ihr Grundstück, um Eindringlinge fernzuhalten, während Hunde mit Urin die Grenzen ihres Reviers kenntlich machen. Menschen gehen in den Supermarkt und schnuppern genüsslich an den Erdbeeren – Hunde lecken im Wald am Rehkot. Wenn du weißt, was dein Hund wieso braucht, kannst du es ihm geben.
3. Erziehung & Bindung: wer bist du für deinen Hund?
Dein Hund braucht, um gut in deinem Leben und deiner Welt zurecht zu kommen, eine ganz besondere Beziehung zu dir. Er braucht dich nicht als Kumpel und nicht als Mitbewohner*in. Er braucht dich als die Person, die Verantwortung für euch übernimmt und der er sich anschließen kann. Erziehung bedeutet nicht, Gehorsam zu trainieren, sondern Entwicklung und Wohlbefinden zu fördern. Eine SICHERE BINDUNG(klick) kann nur durch bedürfnisorientierte Erziehung entstehen.
4. Sinnhaftigkeit: was tust du mit und für deinen Hund?
Hunde möchten Dinge lernen, die logisch für sie sind und sie weiterbringen. Hunde (wie alle Lebewesen) sehen ihren Lebenszweck nicht in der Unterhaltung anderer oder in Gehorsam und Unterordnung. Lass deinen Hund sich sinnvoll einbringen und beschäftige ihn mit Aufgaben, die ihn von sich aus interessieren. Alles, was du deinem Hund beibringst, muss aus seiner Sicht ein nachvollziehbares Ziel verfolgen*.
*oder gesundheitlich notwendig sein, wie Krallenschneiden 😊
Du hast in der Hand, was dein Hund von seinem Leben mit dir erwarten darf.
Meistgestellte Frage: muss ich meinem Hund also alles, was er will, sofort geben?
Nein. Bedürfnisorientierte Erziehung heißt nicht, dass dein Kind tonnenweise Süßigkeiten essen darf, wann immer es will und auch nicht, dass dein Hund ab sofort die Reste vom Tisch bekommt, wenn er bettelt. Dein Hund darf an der Stelle neue Fähigkeiten (Geduld, Selbstkontrolle) lernen und erfährt Sicherheit durch soziale Regeln. Bedürfnisorientierte Erziehung bedeutet vor allem, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen im Sinne des Hundes zu treffen.